
Andreas Wiesner
Mit der Kamera schöpfen
Das Ansehen der Fotografie als eigenes Genre des künstlerischen Schaffens hat sich in den letzten 25 Jahren grundlegend gewandelt. Zum Beginn des neuen Jahrtausends ist es selbstverständlich geworden, jemanden als Künstler anzuerkennen, der sich mit dem Werkzeug Kamera auf den Weg begibt, um seine eigene Weltsicht darzustellen. Das hat seinen Grund in den sich ändernden, differenzierter werdenden Blicken der Künstler selbst. Aber auch die Bilderflut, die auf den einzelnen tagtäglich einstürmt und in der das Besondere auch seine besondere Aufmerksamkeit findet, hat an dieser Entwicklung Anteil. Gerade hier in Deutschland, in Düsseldorf mit seiner Kunstakademie, befindet sich eines der Zentren für fotografische Kunst, das die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zieht. Und eben hier fand die erste Begegnung mit der Fotografie als künstlerisches Ausdrucksmittel auch für Andreas Wiesner statt. Hier prägte sich sein Zugang zur Vermittlung von Inhalten durch ästhetik. Er gründete eine Werbeagentur und konzentrierte sich auf die Fotografie.
Mittlerweile hat Andreas Wiesner einen eigenen Stil entwickelt und arbeitet als freier Künstler. Seine Fotografien berichten über seine Haltung, seine Neugier und seinen kritischen Standort in seiner Umwelt. Wie mit einer Kelle schöpft er mit der Kamera aus dem Meer der Eindrücke in den Metropolen, in denen er heute lebt und arbeitet, oder die er bereist. Und das Geschöpfte ist dann wiederum Material, das der Künstler weiter umformt, verfremdet und verdeutlicht.
Andreas Wiesner ist viel auf den Straßen unterwegs. Die Menschen, die ihm hier begegnen zeigen ihm eine Fassade, die ihn ebenso fesselt, wie Architektur. Er erkennt in ihnen die Schauspieler des Alltags, maskenbewehrte Unbesiegbare des Trottoirs, fleischgewordene Comic-Figuren vom Schlage einer Lara Croft. Die Flanierenden oder Cafébesucher fotografiert er bevor er sie anspricht. So erhascht er das Unverstellte und Unmittelbare ihres vor sich her getragenen Ausdrucks. Denn, so die Erfahrung von Andreas Wiesner, sind sie erst einmal auf die Kamera aufmerksam geworden oder auch nur in ein Gespräch mit ihm als einem interessierten Beobachter verwickelt, fällt die ganze Selbstpräsentation in sich zusammen. Dann ist es nicht mehr möglich, auch nur annähernd die Motive einzufangen, nach denen er sucht.
Diese Bilder nimmt er dann mit in seine Werkstatt. Dort digitalisiert er die Papierabzüge und unterwirft sie einem langwierigen Prozess der Bildbearbeitung. Der Effekt, den er damit erzielt, ist seinen Bildern wiederum ganz eigen. Es entsteht durch aufwendiges, sezierendes Verfahren ein Anschein von Dreidimensionalität wie bei einer Holographie. Diesen Tiefeneindruck erfährt der Betrachter vor den originalen Abzügen seiner Werke.
In einer von Andreas Wiesner hinzuerfundenen eigenmächtigen Farbumwelt entdecken wir dann die selbsternannten Models der Straßenmode, die coolen und feschen Gewinnspieler des Globalisierungskapitalismus, die noch nicht angenommenen Bewerber von VIVA, MTV und RTL II als bis zum Klischee stilisierte Abzüge ihrer selbst. Austauschbar, zur Vervielfältigung freigegeben, ohne Individualität und ohne Pickel, Schuppen oder Sprachfehler. Das Verfahren von Andreas Wiesner lässt von seinen Modellen nichts eigentlich Unverwechselbares zurck.
Er behandelt sie wie ein Comic-Zeichner dessen Hauptstilmittel die Outline ist. Oder wie es die Kontur für Christian Schad und Otto Dix in den 20er und 30er Jahren war, die ihre großen kritischen Kommentare der Weimarer Gesellschaft in Bildern abgaben. Es bleiben in Andreas Wiesners Bildern nur die Klischees übrig - im wahrlich auch technischen Sinne des Wortes. Und so spiegeln seine Bilder eine tägliche Wahrnehmung der Stadt des 21. Jahrhunderts und vermitteln dem Betrachter mehr als einfache Abbilder im journalistischen Stil. Andreas Wiesners Werke sind Arbeiten, die aufgrund ihres Sujets und ihrer Technik einen hohen ästhetischen Wert haben. Man schaut sie gern an und sie erwecken dabei nicht den Eindruck, lediglich ein kurzes modisches Dasein zu fristen. Sie werden die Zeit überdauern und als Zeugnis einer besonderen Stimmung dieser Epoche dienen.
Text: Andreas Lübbers, Berlin im März 2002
1963: geboren in Remscheid
1982 - 1984: Ausbildung zum Drucker und Schriftsetzer
1984 - 1985: Fachabitur der Kommunikationstechnik, Köln
1985 - 1990: Studium der Kommunikations- und Medientechnik an der Bergischen Gesamthochschule, Wuppertal
1990: Gründung einer Werbeagentur in Wuppertal, Schwerpunkt: Business to Business Kommunikation
1996: Umzug der Agentur mit 14 Mitarbeitern nach Düsseldorf
1999: Umzug nach Berlin; Arbeit als Fotograf und Künstler
2000: Ausstellung im Regus Business Center; Berlin - Potsdamer Platz
2001: Ausstellung auf der 3. Internationalen Kunstmesse Art International Zürich
2002: Ausstellung Galerie NKE Berlin